Nach ein paar „Hüsn“ und einer Schweinsbratensemmel ging es am 2. August des Jahres 2017 von Schwechat über Madrid und Santiago de Chile nach Córdoba.
In Santiago hatten wir ein paar Stunden Zeit, spazierten durchs Zentrum und dann durch einige bunte Straßen zur Zahnradbahn. Als wir den Ausgang zur Zahnradbahn passieren wollten, schnitt uns
eine freundliche Angestellte den Weg ab, der Zug sei voll. Wir schleimten uns – aus Zeitnot, nicht aus purem Egoismus, wir doch nicht – dahingehend ein, dass uns erlaubt wurde, uns doch noch in
den Zug hineinzuquetschen. Dieser war daraufhin offenbar überlastet, jedenfalls hatten wir kaum die Ausweiche in der Mitte der steilen Strecke passiert, als es plötzlich ziemlich flott wieder
abwärts ging. Im zweiten Anlauf schaffte es die Bahn dann aber doch auf den Gipfel.
Nachdem wir die Aussicht ausgiebig genossen hatten, hatte Pettenbacher #1* die geniale Idee, zu Fuß hinunterzugehen, um „Zeit zu sparen“. Die nächste Dreiviertelstunde verbrachten wir damit,
irgendwelche Wiesen und Downhill-Radstrecken hinunterzustolpern, erwischten das Flugzeug dann aber glücklicherweise trotzdem noch.
In Córdoba fuhren wir per Flughafenbus zum zentralen Busbahnhof, wo die ersten Fahrer in der Schlange fest entschlossen waren, uns abzuzocken. Wir stoppten also abseits der Schlange ein anderes
Taxi, was wütendes Geschrei zur Folge hatte, welches unseren Taxler aber glücklicherweise nicht zu stören schien. Wenig später erreichten wir das kleine Haus, in dem unsere beiden Couchsurfer mit
ihren fünf Hunden wohnten. Das Domizil war winzig, die Gastgeber herzlich, die Pizza gut. Die kleine Gasheizung wärmte nur die Küche.
Am nächsten Tag nahmen wir die Stadt genauer unter die Lupe, aßen ein hervorragendes Steak (bien jugoso = gscheit blutig), legten eine Schweigeminute für die deutsche Fußballmannschaft
ein, die hier 1978 gegen Österreich verloren hatte und stellten fest, dass die Argentinierinnen alle auf Plateauschuhe(n) stehen.
Der Nachtbus brachte uns innerhalb von 13 Stunden nach Salta! Im Bus lief ein ausgesprochen schlechter, ausgesprochen blutrünstiger Film, das gehört in Lateinamerika irgendwie dazu. Was die
mitreisenden Kinder von den dargebotenen Hinrichtungen hielten, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich für solche Gelegenheiten Ohrenstöpsel und Schlafbrille dabeihabe.
Pünktlich um 12 Uhr am nächsten Tag klingelten wir bei unseren nächsten Couchsurfern, aber jetzt alles schön langsam und alles der Reihe nach, denn ab hier wurde unsere Reise legendär: Die Tür
öffnete ein… Obdachloser, hätte ich vermutet, wenn es nicht unser Gastgeber gewesen wäre, der uns Obdach bot. Ein Koloss von einem struppigen, unausgeschlafenen, verkaterten Argentinier. Er
erzählte uns, dass wir wie echte Dreckskerle aussahen, ein Kompliment, das wir gerne erwiderten. Dann machte er uns mit seiner Schwester und mit seiner 95-jährigen alzheimerkranken Oma bekannt
und tischte ordentlich auf: Es gab die besten Empanadas Argentiniens, so wurden sie angepriesen, und so war es auch. Die Alzheimer-Oma, die bereits bei der Begrüßung einen Lutscher im Mund gehabt
hatte, liebäugelte mit unseren Mitbringseln, Mozartkugeln und isländische Schokorosinen. Letztlich gab sie den goldglänzenden Mozartkugeln den Vorzug, sehr zur Freude von mir und Pettenbacher #2
und sehr zum Kummer unseres isländischen Pettenbachers número uno (Nicht weinen, Alter… Das isländische Zeugs ist eh auch „lecker“). Die alte Dame erklärte uns im Zwei-Minuten-Takt, dass sie
ursprünglich aus Chile komme: „Yo soy de Chile. ¿De dónde son, hijos?“
Nach sechs oder sieben Litern Bier (Das haben die ganz ohne mich geschafft) und einigen Dutzend Empanadas (Das hätten die ohne mich nie geschafft) brachten wir es fertig, uns vorübergehend
loszueisen – wir hatten da eine Kolonialstadt zu besichtigen! Salta ist eine feine Stadt, wesentlich überschaubarer als Córdoba. Die im Bergmuseum ausgestellte Llullaillaco-Mumie, ein
siebenjähriges Kind, das von den Inka vor 500 Jahren in 6.739 Metern Höhe geopfert worden war, hat mich ziemlich beeindruckt. Es schaut aus als ob er schläft, der Kleine.
Im Gegensatz zu Córdoba ist in Salta ein deutlicher bolivianischer Einschlag vorhanden. Wir begegneten einer schillernden, tanzenden Prozession, die der Virgen de Copacabana huldigte,
der Schutzheiligen vom Titicaca-See.
Am Abend stieg das nächste Fress- und Saufgelage, man versicherte uns von mehreren Seiten, dass es nicht üblich sei, bei einer argentinischen Grillerei weniger als ein halbes Kilo Fleisch zu
essen. Tatsächlich wurden für 15 Erwachsene neun Kilo Rindfleisch auf den Grill geworfen! Und als wir ächzend in unseren Sesseln hingen, machte unsere Gastgeberin mit einer großen Blutwurst die
Runde. „Yo soy de Chile“, meinte die Oma dazu.
Es wurde ein langer Abend, die allgemeine Gastlichkeit und das beiderseitige Interesse waren phänomenal. Ein netter Kerl mit Schweizer Vorfahren spann gar manches Garn, eine Biologin, die mit
ihrer kleinen Tochter gekommen war, hielt mir einen Vortrag über Vegetarismus und löffelte Thunfisch aus einer Dose. Unser Gastgeber hatte ein paar tiafe Witze auf Lager, die wir noch nicht
kannten, und die Alzheimer-Oma meldete sich mit „Yo soy de Chile“ zu Wort und lutschte an irgendwas Zuckerhaltigem herum.
Wir fuhren weiter nach Puta… Purmamarca. Die Busse dort sind irgendwie komisch, hin und retour ist billiger als hin, und wenn sich der, der die Rucksäcke einlädt, nicht ausreichend gewürdigt
fühlt, stellt er sich vor einen hin und verlangt ein Trinkgeld. In unserem letzten argentinischen Bus hatten wir wegen Überbuchung zu dritt nur zwei Sitzplätze.
In Purmamarca gibt’s schöne bunte Berge und zahlreiche Phallus-Symbole**, und dann erreichten wir eines Nachts um zwei das 3.775 Meter hoch gelegene San Antonio de los Cobres. Nachdem wir an
einige Herbergstüren geklopft hatten und uns schön langsam kalt wurde, machte uns jemand auf und vermietete uns das allerletzte vorhandene Bett, das war ein bisserl eng (Na, ist eh gemütlich mit
euch, Burschen).
Am 8. 8. fuhren wir mit dem Ausflugszug durch die Puna, eine ganz eigenartige, unfreundlich-schön-spektakuläre Andenlandschaft. Ziel der Fahrt war das Polvorilla-Viadukt auf 4.200 Metern. Die
Strecke war nach mehreren Entgleisungen und einem Brückeneinsturz vor zwei Jahren stark verkürzt worden. Um den hohen Fahrpreis weiterhin rechtfertigen zu können, wird die Brücke, eine
„Meisterleistung der argentinischen Ingenieurskunst“, nun mit viel Pomp inszeniert: Wir überquerten sie im Schritttempo, während im Zug ein Triumphmarsch abgespielt wurde. Danach scharten wir uns
auf einer Plattform außerhalb des Zuges um die argentinische Flagge, die langsam aufgezogen wurde, während aus hundert Kehlen die Nationalhymne erklang. „Viva Argentina, viva la patria“ brüllte
es ringsum, bevor wir wieder in den Zug einstiegen.
Wir wollten zur bolivianischen Grenze und hatten die Nase voll von überbuchten Bussen, langen Wartezeiten und langen Umwegen. Ein Taxifahrer, den wir befragten, fackelte nicht lange und erklärte
sich bereit, uns die 400 Kilometer übers Hochland zu führen. Allerdings brauchte er zuerst Benzin, und weil es an der Tankstelle keines gab, fuhr er zum Haus von irgendeiner Oma und füllte dort
Benzin aus einem Kübel per Trichter ab.
Der direkte Weg war eine holprige, kaum befahrene Erdpiste. Links und rechts die Anden, Lamaherden, knallgelbes Punagras und keine Menschen. Nach einer Stunde ging dem Fahrer das Herumzuckeln auf
die Nerven und er bog auf die Salinas Grandes ab – eine Salzwüste. Wenig später pflügten wir mit 120 km/h über die Salzkruste.
Als die Salzwüste aus war, hatte er es sich anders überlegt und bat den Pettenbacher #1, der ein Gescheitphone dabei hatte, eine Alternativroute zu suchen. Wir fuhren in schwindelerregenden
Serpentinen zur Hauptstraße hinunter, wobei wir noch einmal bei Purmamarca vorbeikamen. Der Taxifahrer wurde immer nervöser, weil sein Sprit zur Neige ging. Zwei Kilometer vor der Tankstelle in
Tilcara blieb er einfach stehen. Der Fahrer konnte mit Kilometerangaben nichts anfangen, wir überzeugten ihn aber davon, dass wir es tatsächlich fast geschafft hatten – und glücklicherweise ist
es sich ausgegangen. Spät am Abend waren wir in La Quiaca, einem hässlichen Grenzloch, in dem man aber recht gut essen und ziemlich gut schlafen kann.
Am nächsten Tag überzeugten wir uns ein letztes Mal davon, dass ein argentinischer Wahlkampf hauptsächlich aus Plakaten besteht und aus riesigen Boxen, die neben den Plakaten stehen und aus denen
laute Musik kommt. Das argentinische Grenzkaff ist kreuzhässlich, aber Villazón auf der bolivianischen Seite spielt diesbezüglich in einer ganz anderen Liga: Eine dreckige Staubhölle, in der man,
wenn der Wind weht, nicht einmal atmen kann. Wir ließen uns in einer Spelunke mit lateinamerikanischen Spezialitäten (Hendl mit Pommes) bewirten, während im Staatsfernsehen über dem Tresen ein
Lied gespielt wurde, das zum Händewaschen animieren sollte. Am WC dieser Restauration stand ein Kübel, das war die Spülung. Daneben stand noch ein Kübel, der war zum Händewaschen.
Wir erstanden Tickets für den Expreso del Sur, einen abenteuerlichen, zweimal wöchentlich (und zum Glück an diesem Tag) verkehrenden Zug, der uns nach Oruro bringen sollte. Business
Class, versteht sich, 35 Euro für 16 Stunden Zugfahrt. Abendessen inklusive. Wir machten es uns im Speisewagen gemütlich, winkten jede halbe Stunde einmal dem Kellner, aßen und tranken und
spielten Karten, während der Waggon abwechselnd nach links und nach rechts zu kippen drohte und die herrlichsten Landschaften vor dem Fenster vorbeizogen – zuerst in strahlendem Sonnenschein,
später im Mondlicht. Nach sieben Stunden und etlichen Getränken ließen wir es gut sein und gingen schlafen. In der Früh war die Haube von Pettenbacher #1 am Fenster festgefroren.
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*Als wir vor der Abreise beim Heurigen saßen, meinten meine beiden Mitreisenden, dass ich gerne über sie schreiben dürfe, aber nur unter Verwendung von
Pseudonymen. Das war, glaube ich, ein Spaß. Mit mir ist nicht zu spaßen.
**Kakteen, echt geil.
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