Im Reich des Silberteufels

Potosí befindet sich mehr als 4.000 Meter über dem Meeresspiegel. Unser Couchsurfer, den wir mit etwas Intuition aufspürten, lebte in der sauerstoffbefreiten Zone am obersten Stadtrand, direkt gegenüber dem Cerro Rico. Was kein Zufall war, wie wir bald herausfanden.


Potosí war in der frühen Neuzeit die reichste Stadt der Welt. Grund dafür war der Cerro Rico („Reicher Berg“), ein Silberberg. Die Silbermine wurde von den spanischen Kolonialherren gnadenlos ausgebeutet, wobei ein großer Teil des Geldes auf Umwegen an andere europäische Mächte floss.


Mittlerweile sind die Vorkommen aber erschöpft und die Kolonialstadt ist völlig verarmt. Trotzdem gibt es immer noch mehrere tausend Bergleute, die auch hunderte Jahre nach dem Silber-Rausch noch vom Silberabbau leben. Pedro, unser wortkarger Gastgeber, war einer von ihnen. Viele seiner Arbeitskollegen sind – Kinder.


Nachdem wir die alte Stadt mit ihren Ruinen, steilen Straßen und alten Autos ausgiebig erkundet hatten, krabbelten wir mit einem von Pedros Kollegen, der sich mit Bergwerkstouren etwas dazuverdient, rund anderthalb Stunden lang durch den Cerro Rico.


Es war eigenartig, diesen geschichtsträchtigen Ort zu betreten: Den Ort, an dem die Spanier massenweise Indigene ausbeuteten, bis diese vor Erschöpfung oder bei einem Unfall starben. Insgesamt acht Millionen Menschen ließen im Silberberg von Potosí ihr Leben. Acht Millionen!! Unserem minero (Bergmann) zufolge sahen die Indigenen, während sie ihre Sklavenarbeit verrichteten, bis zu sechs Monate lang kein Sonnenlicht.


Die Stollen, durch die wir uns bewegten, waren niedrig, ungesichert, und teilweise geflutet. Einmal kletterten wir in einem engen senkrechten Schacht eine rund zwölf Meter hohe Holzleiter empor. Das Licht unserer Stirnlampen reichte nicht aus, um zu sehen, wo sie aufhörte. Die horizontalen Schächte waren oft nur wenig höher als einen Meter.


An den Wänden schimmerte in wässrigen Grüntönen oxidiertes Kupfer, von oben wuchsen kleine weiße und grüne Stalagmiten in die Gänge. Die buzones, kleine Schüttrampen, mit denen das Gestein von höhergelegenen Stollen auf darunter wartende Grubenhunte verladen werden kann, waren ausnahmslos eingestürzt.


In einer kleinen Höhle wurden wir mit dem Tío Benito bekanntgemacht. Der Bergwerksteufel saß inmitten von Konfetti, Papierschlangen und Kokablättern, man hatte ihm mehrere Zigaretten in den Mund gesteckt. Die Figur trug Stiefel, war ansonsten nackt und hatte einen gigantischen Penis – ein Symbol dafür, dass Frauen im Berg nicht geduldet werden.


Die Kokablätter verstehen sich ebenso wie die Zigaretten und der Alkohol als Opfergaben – die abergläubischen Bergleute hoffen, sich auf diese Weise den Beistand des „Onkels“ zu sichern und Unfälle abzuwenden. Bisweilen werden dem Bergwerksteufel im Zuge schwarzmagischer Rituale leider auch Lama- und sogar menschliche Föten geopfert.


Die Bergleute, die wir bei ihrer Arbeit trafen, waren mit dem Bohren von Dynamitlöchern beschäftigt oder mit dem „Auspumpen“ von Gängen – letztere Arbeit erledigten sie mit Plastikkanistern, die dann von Kollegen an Schnüren aus den vertikalen Schächten gezogen wurden. Zwei Bergmänner kamen uns mit einem kleinen, vollbeladenen Grubenhunt entgegen. War die Ladung zu schwer, der Stollen zu niedrig, die Schienen zu stark verschlammt oder zu kaputt, jedenfalls schafften sie es kaum, das kleine Gefährt von der Stelle zu bewegen. Zusätzlich trug jeder von ihnen einen schweren Sack auf dem Rücken.


Egal, womit sie beschäftigt waren, alle Bergleute schafften es, gleichzeitig einer zweiten Tätigkeit nachzugehen: Dem Kauen von Kokablättern. Das unablässige Blätterkauen stärkt das Durchhaltevermögen und unterdrückt das Hungergefühl. Unser Führer merkte, dass es mir nicht schmeckte, und meinte, dass ihm die Kokablätter besser mundeten als jede Pizza.


Ein Arbeiter war gerade dabei, eine kleine Silberader auszubeuten, das rostbraun oxidierte Element verlief an der Decke seines Stollens in einer geraden Linie. Er erzählte, dass er hier jeden Tag zwölf Stunden arbeitete. Wenn es eine Ader auszubeuten gibt, werden oft noch längere Schichten eingelegt – die Ader gehört zwar dem, der sie gefunden hat, aber weil sie in gerader Linie durch den Berg verläuft, ist es leicht, sie an einer anderen Stelle anzuzapfen. Nach dem Motto „Ups, ich hab auch Silber gefunden!“ Das Silber in Potosí ist mittlerweile von einem sehr geringen Feingehalt (200-300, selten 700, statt, wie früher, 800-900 Promille). Ein Bergmann hat aber vor ein paar Jahren doch noch einmal einen bedeutenden Fund gemacht, der besitzt jetzt ein Fußballteam.


In einem benachbarten Stollen blieben wir vor einem Loch im Boden stehen. Es stellte sich heraus, dass unser Gang die Decke einer riesigen Kaverne war. Der einzige Zugang zu diesem Arbeitsplatz war das Loch, über dem an zwei Schienen eine kleine Winde montiert war, nicht größer als eine Kabeltrommel. Mit dieser Winde werden die Bergleute an einem dünnen Seil in die Tiefe gelassen.


Auch eine Verarbeitungsanlage besichtigten wir. Das Silbererz wird hier zu Schlamm zerkleinert, anschließend wird das Silber mithilfe einer Lauge herausgelöst. Man liefert das Erz jeweils bei dem Betrieb ab, der einem „am wenigsten stiehlt“.


Die meisten Bergleute von Potosí sterben in jungen Jahren an Silikose.
 

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