Bei den Chiquitanos

San Antonio ist eines von vielen indigenen Dörfern im bolivianischen Tiefland. Der Grund, warum wir zu den Chiquitanos wollen, ist meine Mutter: Sie hat hier Mitte der 70er-Jahre einige Monate lang als Krankenschwester gearbeitet. Wofür man damals bisweilen tagelang auf eine Militärmaschine warten musste und sich im Anschluss an den Flug noch stundenlang durch den Dschungel schlagen musste, das ist heute eine siebenstündige Fahrt mit dem Rumpel-Bus. Die Mitreisenden erklären uns, dass die Strecke auch in vier Stunden zu schaffen ist, und lachen den Fahrer aus, als er auf einer völlig verschlammten Steigung stecken bleibt. Als er den Bus wieder flott bekommt, gibt es eine Kontrolle durch die Drogen-Polizei, die wir unbeschadet überstehen. Schnurgerade Staßen führen uns durch menschenleere Landstriche mit riesigen fincas, und dann sind wir in San Antonio.


Eine staubige Straße, zunächst einfache Lehmhütten, im Zentrum dann niedrige, ziegelgedeckte Häuser. Die Ziegel waren eine Idee von Entwicklungshelfern, und zwar eine gute, denn in den Blätterdächern wohnen die vinchucas, Raubwanzen, die die lebensgefährliche Chagas-Krankheit übertragen. Auch Dengue und Malaria gehören hier zu den alltäglichen Erscheinungen, also bespritzen wir uns ausnahmsweise von oben bis unten mit Insektenspray (Gegen Gelbfieber hatten wir uns vor der Abreise impfen lassen. Die Leute von der Impfstelle hatten uns noch ein Dutzend andere Impfungen nahegelegt, weshalb ich mir schließlich eine Tetanus-Impfung aufschwatzen ließ. Zoryana konnte sich für eine Diphterie-Impfung begeistern).


In San Antonio stellte ich mich als Sohn meiner Mutter vor, und siehe da: Die Dorfbewohner hatten ein gutes Gedächtnis. Wir wurden an Marlene, eine Freundin meiner Mutter, verwiesen und fanden dort herzliche Aufnahme. Wir bezogen ein Zimmer in einem kleinen Gästehaus (das einzige Haus in San Antonio, das über fließendes Wasser verfügt), und wurden zum Essen eingeladen. Marlene kaufte sogar Mineralwasser für uns, denn das Wasser aus dem Wasserloch, das sich mitten im Dorf befindet, sei für europäische Mägen nicht bekömmlich (Wir haben uns natürlich erkenntlich gezeigt). Ich schaffte es trotzdem, meinen Magen zu ruinieren, indem ich mich bei einem Spaziergang von einem Chiquitano auf eine chicha einladen ließ. Dieses großartige Getränk schmeckt herrlich dreckig und besteht unter anderem aus Speichel.


Marlene machte uns mit dem Schuldirektor bekannt und rückte mit ihrer ganzen Sonderschulklasse aus, um uns das Grab von Mamas alter Freundin Luzi zu zeigen (Luzi Lintner, eine langjährige und in der ganzen Region hochgeschätzte Entwicklungshelferin aus Südtirol). Am Friedhof begegneten wir auch einer Viper. Einer von Marlenes Schülern, ein taubstummer, sehr netter Kerl, begleitete uns zu einem kleinen See in der Nähe. Javier, ein weiterer Bekannter meiner Mutter, der uns vor einigen Jahren in Österreich besucht hatte, zeigte uns Bilder von der guten alten Zeit.

 

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