Nachdenken über die Wertvorstellungen einer Nation

Mittwoch habe ich meiner Gastmutter in der Küche geholfen. Auf dem Speiseplan standen Taco-Suppe und corn bread. Der Arbeitsprozess begann für mich daher im Keller mit Dosentragen. Paradeiser in Dosen, Bohnen in Dosen, alles in Dosen. Die fertige Mais-Muffin-Mischung in einem kleinen Paket. Aus der Mais-Muffin-Mischung hab ich gemäß Aufdruck corn bread gezaubert – Maisbrot. Das Rezept hab ich während der Prozedur auswendig gelernt: Man erhitze den Ofen auf 400 Grad Fahrenheit, nehme dann den „No Stick Cooking Spray“ zur Hand und sprühe den Boden der Pfanne ein. Anschließend verrühre man ein Ei (Kommt nicht aus Freilandhaltung), einen Drittelbecher Milch und die Mais-Muffin-Mischung. Das ganze Zeug geht in den Ofen, bleibt da zwanzig Minuten lang und fertig ist das Brot!!!


Ich hab mir in der Schulbibliothek ein neues Buch ausgeborgt, „Animal, Vegetable, Miracle“ von Barbara Kingsolver. Die Autorin ist aus der Wüsten-Metropole Tucson (Arizona) weggezogen und hat in fruchtbareren Gefilden mit dem Gemüseanbau begonnen; sie hat den wegen chronischen Wassermangels langsam sterbenden Westen aus Gewissensgründen verlassen. Jeder kann sich vorstellen, was es für die Erdölreserven dieser Welt und den Colorado River bedeutet, dass sich im lebensfeindlichen Südwesten der USA viele Millionen Menschen angesiedelt haben.


Barbara Kingsolver zufolge hat das, was in den USA auf den Tisch kommt, im Durchschnitt etwa 1.500 Meilen zurückgelegt. Was es ist, das auf den Tisch kommt, ist auch eine interessante Geschichte. Produziert wird in rauen Mengen, und in einem Land mit 300 Millionen zum größten Teil wohlhabenden Einwohnern zahlt es sich für die Konzerne, denke ich, aus, über effektive Absatzmethoden für die überschüssigen Kalorien nachzudenken. Laut Guinness-Buch ist der Kalorienverbrauch per Kopf in den USA am höchsten.


Die amerikanische Küche setzt sich aus dem zusammen, was die Einwanderer mit sich gebracht haben; man isst italienisch, chinesisch und mexikanisch. Und Fastfood! Ich schätze mich glücklich, bei einer Familie gelandet zu sein, die – bezogen auf das klassische Fastfood – eher abstinent lebt. Wir essen viele hauseigene Kreationen, häufig eine Mischung verschiedenster Doseninhalte, oft in Form von Aufläufen. Und Pasta. Lasagne. Sehr viel chicken. Es schmeckt übrigens gut! Und Nudeln kann doch auch die ärgste Billignahrungsmittel-Mafia nicht verfälschen...?


Richtig empörend finde ich amerikanische Pizza, fetttriefend und beinahe ohne Geschmack. Ich lasse von meinen Pizzastücken zuerst immer das Fett abrinnen und wische gegebenenfalls mit einem Stapel Servietten noch einmal drüber. Österreich befindet sich wohl näher an der italienischen Grenze... Bei uns kann man Pizza, wenn ich mich richtig erinnere, als Nahrung durchgehen lassen, oder?


Brot isst man hier wenig, Julie isst gar keins, weil sie’s nicht mag. Ich hab’s ganz am Anfang auch nicht gemocht, aber ich hab mich rasch dran gewöhnt und genieße nun mangels Alternativen meine butterweichen amerikanischen (Schul-) Sandwiches. Für das School Lunch, das in Olathe East gereicht wird, würde in Österreich jemand eingesperrt werden. Immer wieder, wenn mir ein Mädel entgegenspaziert, das dem Anschein nach direkt aus Hollywood kommt, stellt sich mir die Frage: Wie kann die so aussehen, wenn die sowas isst?!


Wen man den Quellen glauben schenken darf, ist die Bio-Bewegung auch in Amerika auf dem Vormarsch. Aber im Haus meiner Gastfamilie wird das, genau wie in den meisten anderen Häusern, noch etwas dauern. Mom ist immer auf der Jagd nach dem besten Deal, was ihre strengen Preisgrenzen übersteigt, wird nicht gekauft. Nuja... Ich weiß, dass es das auch in Österreich gibt. Man kann „bewusst“ essen oder eben nicht. Ein biologisches Hendl aus dem Ort schmeckt jedenfalls tausendmal so gut. Über zwei besonders positive Aspekte des Lebens in Amerika dann das nächste Mal!