Zehn Tage in Baldwin City

An meinem ersten Tag in Baldwin erfuhr ich von Elliott (8), was an mir alles „amazing“ ist; meine Schuhgröße, wie schnell ich laufen, wie weit ich werfen, und wie weit ich springen kann. Die Tierfotos auf meinem Laptop sind even more amazing. Meine Feuerprobe bei Elliott und Allison (10) bestand ich am Trampolin, als die beiden panisch in eine Ecke flüchteten und von mir verlangten, eine große Fliege zu entfernen. Ich begriff erst nach einer kleinen Weile, dass sie mich nicht provozieren wollten, sondern wirklich Angst hatten, und von mir als dem Größeren erwarteten, sie von dem Insekt zu befreien. Ich schnippte es also weg und das Spiel „Rise from the dead“ konnte weitergehen.


Wenn man so will, ist Kansas überhaupt recht gefährlich; es gibt Tornados, Klapperschlangen und Kupferköpfe. Für alles das, was kreucht, hält sich die Familie einen Welpen, Lizzie, den bei weitem aktivsten Hund, den ich jemals gesehen habe. Und Matilda, die fetteste Katze, mit dem Unterschied, dass das Biest längst eingesehen hat, dass es zu nichts nütze ist, und nur vor sich hinfrisst und -schläft. Wenn sich so ein Kübel auf einem im Kreise dreht, fühlt es sich an, als würde die Welt untergehen.


Gemeinsam mit der ganzen Familie, einschließlich Regan, einem Mädel aus dem Ort, verbrachte ich meinen ersten Nachmittag in Baldwin City (Das Farmhaus, in dem ich das hier schreibe, ist etwa sechs Meilen entfernt). Baldwin City ist wirklich schön... Aber es war brandheiß (bis zu 108 °F oder 42 °C in meiner ersten Woche) und das Essen beim Chinesen war teils richtig ekelhaft gewesen... Und plötzlich interessierte mich überhaupt gar nichts mehr. Kulturschock am ersten Tag? Wohl eher Jetlag. Es war zu diesem Zeitpunkt zwei Uhr morgens in Österreich, und nachdem ich in der Nacht auf Samstag rund 14 Stunden im Bett herumgelegen war, fühlte ich mich wieder recht frisch. Mit Regan waren Yui (die Austauschschülerin der Stiefels aus Japan) und ich im Kino, haben eingekauft und Tennis gespielt. Sehr gut gefallen hat mir die Kirche, mit Basketballkörben an der Wand, ein lutheranisch-methodistisches Irgendwas. Die Musik war vom Feinsten, mit verschiedenen E-Gitarren, Schlagzeug, Klavier und fünf Sängern. Und auch die Begründung kam postwendend, mit einem vorausschauenden Blick in den Himmel: „There’s gonna be a party!“


Die Familie der Klavierspielerin lud uns zum Abendessen ein. Genießbares Brot hatte ich schon in einem grocery store gefunden, und nach der hausgemachten Pizza blickte ich, was das amerikanische Essen betraf, mit deutlich mehr Zuversicht als bisher in die Zukunft. Mit Austin, einem Sohn von anderen Freunden der Familie, war ich spätestens nach einer Stunde „best friends“... Fast schade, dass ich heute nach Olathe ziehe.


Nach etwa einer Woche hatte ich mich bestens eingelebt, und weil ich Züge nun einmal sehr gerne habe, bat ich Mrs. Stiefel gestern, mich zur Station der Museumseisenbahn in Baldwin zu bringen. Ich lud Elliott und Allison auf eine Fahrt ein, Mrs. Stiefel und Noah, ein Freund von Elliott, kamen auch mit. Die Fahrt ging über Nowhere nach Norwood, und weil ich unablässig fotografierte, fragte mich der Schaffner in Norwood, ob ich für die Rückfahrt nicht vielleicht in die Lok einsteigen wollte. Latürnich wollte ich... Zurück in Baldwin schenkte mir Mrs. Stiefel ein Midland-Railway-T-Shirt. Wenn ihr damit ab Juli 2008 jemanden in Österreich herumrennen seht, das bin dann ich. ;) Um mir eine Freude zu machen, ging’s abschließend noch ins (Eisenbahn-) Museum nach Ottawa. Soviel zu Baldwin „City“...


Meine Schule, die Olathe East High School, hat am Donnerstag begonnen. Für mich beginnt sie nach dem Umzug, also morgen. Donnerstag hab ich gemeinsam mit Whitney Schmale, einer netten Schulangestellten, meinen Stundenplan zusammengestellt. Fürs erste Semester sieht er so aus:


1. Yearbook
2. Acting
3. English
4. Peer Mentoring
5. Sociology
6. Geography
7. American History


Ich konnte aus weit über 100 Fächern wählen (Sie sind auf http://schools.olatheschools.com/buildings/east/ unter „Academics“ einsehbar) und hab mir das wohlweislich schon tags zuvor in etwa so überlegt. Ich werde also jeden Tag in der ersten Stunde fotografieren, schreiben und interviewen, am Ende des Jahres soll dann das Yearbook, eine Art Jahresbericht, fertig sein. In der zweiten Stunde wird Theater gespielt, in der vierten Stunde arbeite ich mit autistischen Schülern, Schülern mit Down-Syndrom und anderen mental beeinträchtigen Schülern zusammen. Mrs. Schmale war von meinen Wunschfächern übrigens sehr beeindruckt, genauso Mrs. Stiefel. :P


Nachdem ich kurz in die Peer-Mentoring-Klasse gespäht hatte, traf ich noch Mr. Daniels, einen Coach für Cross Country. Er fragte mich augenzwinkernd, ob ich fünf Kilometer in 15 Minuten rennen könne. Kann ich nicht. Aber ich bin sehr gespannt auf das Training. Bis Ende Oktober wird jeden Tag gerannt. Die rund 1.500 Schüler der Olathe East High sind die „Hawks“... Und ab morgen bin ich auch einer. GONNA BE HAWK!