Costa Tica II

An meinem zweiten Tag in Costa Rica war ich mit Sarah und ihrer AFS-Freundin Dani wieder in San José unterwegs. Wir haben uns eine Soda gesucht (Ein einfaches Lokal mit costaricanischer Küche), und ich hab mein erstes Gallo Pinto gegessen. Es schmeckte wider Erwarten ziemlich gut, nur die plátanos (Kochbananen), ohne die hier anscheinend nichts geht, mag ich nicht so gern – es sei denn, sie sind richtig süß. Wir haben uns allerhand costaricanische Süßigkeiten gekauft… War ein unterhaltsamer Nachmittag und wir haben viel von San José gesehen.

 

Am Samstag bin ich weitergezogen nach Cartago. In San José gibt’s 19 Busterminals, aber das richtige war schnell gefunden und los ging's, vorbei an immergrünen Hügeln mit bunten Wellblechhütten, Fußball spielenden Latinos, schäbigen Wohngegenden und Wohngegenden mit hohen Zäunen und viel Stacheldraht. Die Busfahrt in Costa Ricas ehemalige Hauptstadt kostete mich 50 Cent (más o menos), und in Cartago angekommen nahm ich mir ein Taxi zum Hotel (Wenn man viel Gepäck dabei hat, ist das eigenständige Fortbewegen über Distanzen, die größer sind als ein paar Meter, angeblich eine Dummheit). Ich bat den Fahrer, das Taxameter einzuschalten, und von dem, was er mir während der Fahrt erzählte, verstand ich etwa die Hälfte bis zwei Drittel („¿Puedes repetir, por favor?“). Ich hoffe, in ein bis zwei Monaten den Durchblick zu haben, was Spanisch betrifft – ist doch recht mühsam so. Der Taxifahrer empfahl mir abschließend, bei Einbruch der Dunkelheit wieder im Hotel zu sein, ich stellte mein Gepäck ins Zimmer, borgte mir von der Rezeptionistin einen Stadtplan aus und stürzte mich ins Getümmel.

 

Cartago ist älter als San José, bunter und weniger laut. In beiden Städten gibt es Vieles, das an die USA erinnert. Es sind viele Trucks auf den Straßen unterwegs (Die Autos sind allesamt viel besser imstande als beispielsweise in Ungarn), es gibt mehr amerikanische Fastfood-Ketten als bei uns, die Gehsteigkanten und -markierungen erinnern mich an Amerika (im Gegensatz zu den teilweise 50 cm tiefen Wassergräben davor), die Türknöpfe, Supermärkte und natürlich Coca Cola. Drei Liter für 800 Colones (1 €).

 

Die Ticos sind offen und freundlich. Ein einziges Mal hörte ich „Gringo“, als ich im Mercado Central fotografierte, und ein Straßenverkäufer kreischte mir nach einem Blick auf mein „San Diego Beach“-T-Shirt und einer recht armseligen Kostprobe meines Spanisch ein „Osama Bin Laden“ nach. Ansonsten sind die Ticos wirklich nett, und – besonders wichtig – geduldig.

 

Abends (Wenn man sich in belebten Straßen aufhält, fühlt man sich auch im Dunkeln sicher genug) setzte ich mich straßenseitig zu Hühnerkeulen und Karottensaft. Die Bedienung fing ein Gespräch mit mir an. Zuerst hätte sie – auch wegen der Geräuschkulisse – genauso gut gegen eine Wand reden können, aber nach und nach verstand ich zumindest sinngemäß, was sie sagte. Wir redeten über Zivildienst, ihre Arbeit und die Augenfarben der Leute in Costa Rica und Österreich. Melissa (so hieß sie) fragte mich, ob mich die streunenden Hunde störten, die nach meinem Essen schielten. Ich verneinte, sie spritzte sie aber trotzdem aus einer Wasserflasche an. Wir verabschiedeten uns als Freunde und ich verließ den Ort mit dem schönen Gefühl, eine erste costaricanische Bekanntschaft gemacht zu haben.

 

Die ersten Tage, an denen einem jeder Schritt wie ein großes Abenteuer vorkommt, muss man ausnützen. Für Sonntag hatte ich mir den Vulkan Irazú vorgenommen. Wie es hier für alles einen Bus gibt, gab es auch einen Bus auf den Irazú. Die Rezeptionistin verwies mich bezüglich der Haltestelle an einen Ort im Stadtzentrum, sicherheitshalber fragte ich aber noch einen Mann, der auf den Stufen der geschlossenen Touristeninformation saß. Dieser rief einen Kollegen her, welcher mich durch ein Gewirr von Straßen führte, bis sich an irgendeinem Straßenrand ein Bus in Sichtweite befand. Er riet mir, den Fahrer zu fragen, ich sagte mein „muchas gracias“ und ging zu dem Bus hin. Der Fahrer gab die Abfahrtszeit des Busses zum Irazú mit 8:30 Uhr an (Die Rezeptionistin hatte auf 8:00 Uhr getippt), und ich sei genau am richtigen Ort. Um die Ecke stand noch ein Bus, dessen Fahrer 9:00 Uhr als Abfahrtszeit nannte. Aber der angegebene Ort war derselbe. Me encantan los Ticos.

 

Der Bus aus San José kam gegen 8:45 Uhr, und fünf Viertelstunden später waren wir am 3.432 Meter hohen Irazú. Schwarzer Sand, vereinzelte Bäume und ein grüner Kratersee. Ich unterhielt mich mit einem französischen Biologiestudenten, der momentan in San José studiert. Es war extrem kalt da oben. Er borgte mir eine Regenjacke (Ich hatte die 3.432 m zu spät mit „warm anziehen“ assoziiert) und ich lud ihn auf was Warmes zum Trinken ein. Und so kommt es, dass ich für meinen nächsten Aufenthalt in San José eine Bleibe habe. :)

 

Montagfrüh entschloss ich mich spontan, an einen Ort zu fahren, der schön ist und an dem man ordentlich entspannen kann: Tortuguero. Ich nahm also einen Bus nach San José und dann einen Richtung Karibikküste. Der Regenwald beginnt in dieser Richtung gleich außerhalb der Stadt... Bald nach Cariari, wo wir umsteigen mussten, war die Straße nicht mehr asphaltiert, und ab La Pavona ging es nur mehr mit dem Boot weiter. Wir fuhren um enge Kurven, immer weiter in den Urwald hinein, bis wir nach etwa einer Stunde in Tortuguero waren. Ich hievte meinen Trolley über ein paar Planken ans Festland, und ich, zwei Deutsche und ein Amerikaner, die ich während der Fahrt kennen gelernt hatte, quartierten uns im Hotel Meriscar ein. Ich hatte keine Colones mehr, aber das letzte Haus vor dem Dschungel war ein Supermarkt, und dort konnte ich meine verbliebenen 25 Euro umtauschen. Das reichte für drei Übernachtungen und was zu essen.

 

Hinter den Palmen lockte das karibische Meer, und dort traf ich wieder auf Marvin und Meike, die beiden Deutschen. Wir stellten fest, dass ich den Stadtteil des baden-württembergischen Städtchens kenne, in dem Marvin lebt (Ich hab dort 2006 meinen Fundraising-Job fürs Rote Kreuz gemacht) und beobachteten blitzschnelle Krebse, deren Bewegungen irgendwie computergesteuert wirkten. Das Restaurant, in dem wir dann aßen, war eins von der schäbigen Sorte, ich hatte Insekten in der Papayamilch, eine Eischale im Pinto, und als wir getrennt zahlen wollten, dividierte die Kellnerin den Betrag einfach durch drei.

 

Wir gingen zurück ins Hotel, um lange, dunkle Kleidung für den letzten Programmpunkt des Tages anzuziehen.

    – „Buenas.“

    – „¡Pura vida!“

 „Pura vida“ ist das Lebensmotto jedes Costaricaners und wird nicht übersetzt.

 

Der Ortsname „Tortuguero“ leitet sich von „Tortuga“ ab, dem spanischen Wort für „Schildkröte“. Wladimir, unser Führer, hatte eine Infrarot-Taschenlampe, und hinter ihm stolperten wir im Gänsemarsch über den Strand. Es war stockdunkel und wir waren eine Weile unterwegs... Und dann sahen wir den Giganten.

 

Die Schildkröte war rund anderthalb Meter lang. Sie hockte in einer Grube und vergrub offenbar gerade ihre Eier. Ab und zu ging es wie eine Woge durch den mächtigen Körper und der Koloss schaufelte uns eine Ladung Sand auf die Füße. Und noch eine. Wusch!!

 

Eine weitere riesige Schildkröte war mit derselben Arbeit beschäftigt, und bei der dritten hatten wir Glück. Auch sie hockte in einer selbstgegrabenen Grube. Wladimir schob im schwachen Licht der Infrarotlampe vorsichtig eine der Hinterflossen zur Seite und wir sahen das Loch, über dem das Tier hockte. An der Unterseite hatte die Schildkröte einen kurzen, rüsselartigen Fortsatz. Ab und zu verdickte sich dieser Fortsatz, und dann fiel ein Ei heraus. Manchmal auch drei oder vier zugleich, insgesamt waren es mehrere Dutzend. Die Eier waren so groß und so weiß wie Tischtennisbälle (Keine Ahnung, wie sich daraus solche Monster entwickeln können!) und hatten die Konsistenz von Gummibällen. Das Ei, das wir reihum weiterreichten, war überraschend schwer. Kaum war das letzte Ei auf den Haufen gefallen, schaufelte die Schildkröte ihre Kinder zu.

 

Die vierte und letzte Schildkröte, die wir sahen (Vielleicht war es auch die gleiche, Wladimir hatte zwischendurch das Licht ausgeschaltet), war auf dem Weg zurück ins Meer. Sich mit den Hinterflossen abstoßend, machte sie einen Satz nach dem anderen. Kurz vor dem Wasser wurde sie schneller und stieß sich nicht mehr mit beiden Flossen gleichzeitig ab. Sie strampelte die letzten Meter und verschwand in den Wellen.

 

Tags darauf mieteten Meike, Marvin und ich uns ein Boot und ruderten in einen der zahlreichen Flussarme hinein. Der Übergang zwischen Regenwald und Fluss war fließend. Oft bildete das Blätterwerk eine feste Wand gegen das Wasser, manchmal ließen die Bäume und Lianen ein paar Schlupflöcher frei. Irgendwo fanden wir einen solchen Durchschlupf, in dem ein dicker, morscher Baumstamm den Übergang auf festen Untergrund ermöglichte. Es war mein erster Spaziergang im Urwald! Heiß wars und durch die extreme Luftfeuchte tropfte uns ständig der Schweiß aus allen Poren. Ich rutschte von einer Wurzel ab und steckte bis zu den Knöcheln im Sumpf, aber die Vegetation ringsum war fantastisch, eine völlig andere Welt.

 

Ab und zu habe ich Momente, da fällt es mir schwer, mich mit dieser anderen Realität abzufinden. Das Gehirn hat schon begriffen, dass alles irgendwie anders ist und grinst bei dem Gedanken, dass um die nächste Ecke wieder irgendwas Unbekanntes lauert, doch dann verliert es den Boden unter den Füßen und stellt die Frage: Aber ist es denn wirklich wahr?

 

Costa Rica ist eines der Länder mit der höchsten Biodiversität der Welt. In dem kleinen Land am Isthmus finden sich 5 % aller auf der Erde vorkommenden Tier- und Pflanzenarten. Mittwoch bin ich früh aufgestanden, um an einer geführten Kanutour durch den Nationalpark teilzunehmen. Wir haben in den drei Stunden wirklich allerhand Tiere gefunden, am coolsten war ein Vogel mit langem Schnabel, der einen dicken Fisch minutenlang gegen einen Baum knallte und ihn dann als Ganzes hinunterwürgte. Ansonsten waren da kleine, zierliche Äffchen, Brüllaffen, Leguane, Basilisken (auch genannt Jesus-Christus-Eidechsen – sie können über Wasser laufen), ein blauer Schmetterling, so groß wie zwei Handflächen, ein Kaiman und eine Baumschlange.

 

Morgen werd ich, wenn mir keine andere Idee dazwischenkommt, nach Longo Mai fahren, wo ich ab 1. September ein Jahr Zivilersatzdienst leisten werde.