Máncora

Wir nahmen den ersten Bus zurück nach Huaraz und wählten für die Weiterreise an die Pazifikküste die komplizierte Route durch den Cañón del Pato. Einmal täglich hat man zwischen Caraz und Chimbote die Möglichkeit, in einem annähernd menschenleeren Bus durch eine völlig menschenleere Landschaft zu fahren! Die Staubstraße durch die Entenschlucht gilt als eine der gefährlichsten Routen der Welt: Der Bus pickt hoch über dem Fluss auf einem Erdband, das vielerorts genauso breit ist wie der Bus. Wenn man den Kopf aus dem Fenster steckt, wirkt es manchmal so, als würde der Bus bereits über der Schlucht hängen – und dann sollte man den Kopf schnell wieder einziehen, denn die dutzenden Tunnel, die es auf der Strecke gibt, sind ebenfalls maßgeschneidert. An einigen Stellen berühren sich die Wände der Schlucht beinahe, oft ist weder das untere noch das obere Ende der gegenüberliegenden Felswand auszumachen. Die Aussicht in den Abgrund und der Abstand unseres Busses zu demselben lassen sich am besten mit „Bist du deppat, Oida“ zusammenfassen. Der Fahrer gab trotzdem ordentlich Gas, denn die Strecke ist lang und lateinamerikanische Busfahrer haben es eilig.


Die Fahrt war lange genug, dass es unterwegs eine Essenspause gab. An einem Ort, an dem sich die Schlucht weitete, stand etwas, das aussah wie eine Ruine, die 100 Jahre lang von einer Sanddüne verschüttet gewesen war, und dort wurde uns ein Essen aufgetragen. Ich spazierte ein bisschen in der Gegend herum und hatte plötzlich das merkwürdige Gefühl, mich irgendwo im Nahen Osten zu befinden. Die Wüste, der Verfall, das ockerfarbene Gestein, die schrecklichen Toilettenanlagen…


Peru ist groß, aber zwei Tage später waren wir in Máncora! Ein Badeort am Pazifik, kurz vor der ecuadorianischen Grenze gelegen. Wir suchten uns ein gemütliches Quartier mit Garten, WLAN und Hängematten und ließen uns in einem Gasthaus, das von einer österreichischen Weltreisenden eröffnet worden war, verwöhnen: Ein Caprese-Sandwich und ein gemischter Salat waren eine nette Abwechslung zu pollo und ceviche.


Das Meerwasser war dank Humboldt-Strom eher kühl, aber das konnte uns nicht aufhalten, und wir waren in tierisch guter Gesellschaft: Ein riesiger Hund beschloss, unser bester Freund zu werden, und überall am Sandstrand wimmelte es von drolligen Krebsen: Diese nervösen Kreaturen waren stets auf der Flucht, liefen ausschließlich seitwärts und sahen dabei wahnsinnig komisch aus. Wenn man ihnen zu nahe kam, brachen sie in Panik aus und versuchten, möglichst schnell im nächstgelegenen Krebs-Loch zu verschwinden. Dieses erwies sich in der Regel als zu klein, sodass sie in noch größerer Hektik zum nächsten Loch weiterrennen mussten und zum übernächsten... Wir jagten ein paar ausgewählte Opfer beinahe bis nach Ecuador.


Neben einem gestrandeten Fischkutter fanden wir zwei halbverhungerte Kätzchen, die wir mit Wasser und Dosenfisch bewirteten. Eines der Katzenkinder fraß fast nichts, und einen Tierarzt gab es in Máncora leider nicht. Wir trafen einen netten Kerl, der den Tieren ebenfalls ab und zu was zum Futtern vorbeibrachte. Er meinte, er würde die Katzen nach unserer Abreise weiterfüttern und sie in eine Katzenkolonie am Hafen bringen.


Bei einem längeren Strandspaziergang fanden wir einen weiteren Patienten, eine große Möwe mit einem recht beachtlichen Schnabel. Den Schnabel konnte sie nicht öffnen, weil er sich vorne, wo er in einem kleinen Haken ausläuft, in einem zerfransten Stück Schnur verfangen hatte, und als wir es gemeinsam mit einigen Peruanern geschafft hatten, das Tier von seinem Beißkorb zu erlösen, entdeckten wir, dass es einen stachelbewehrten Panzer-Fisch zur Hälfte verschluckt hatte. Das Beutetier, eines der scheußlichsten Geschöpfe, die ich je gesehen habe, hatte ihm dabei den Rachen aufgerissen und war darin steckengeblieben. Die Operation war langwierig und für den Vogel zweifellos eine Höllenqual. Im Anschluss an den Krankenhaustermin wankte er langsam von dannen, er schaffte es nicht, abzuheben.


Wir schossen noch ein paar Strandfotos, ließen uns von der Sonne ordentlich verbrennen und fuhren mit dem Nachtbus weiter nach Ecuador.

 

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