Einige der wichtigsten peruanischen Sehenswürdigkeiten befinden sich in den Fängen einer internationalen Tourismus-Mafia. Dazu gehört auch der Zug nach Machu Picchu. Den Umstand, dass Machu Picchu auf dem Straßenweg nicht zu erreichen ist, macht sich ein britisch-peruanisches Joint-Venture zunutze: Die Betreiber verlangen für die 44 Kilometer lange Zugfahrt von Ollantaytambo nach Aguas Calientes 70 Dollar und mehr. Ein Teil des Geldes fließt nach Großbritannien.
Es gibt allerdings auch eine andere Möglichkeit, nach Machu Picchu zu kommen: Zu Fuß! Eine Touristin erzählte mir stolz, dass sie eine Tour für 200 Dollar ergattert hatte. Eine Tour, das
bedeutet, dass du ein paar Tage hinter einem gestressten Peruaner, der dir den Weg zeigt, und einem Esel, der dein Gepäck schleppen muss, hertrottest. Wenn du dich ein bisschen anstrengst, den
Weg selber findest und dein Zeug selber schleppst, ist die Wanderung gratis.
Wir entschieden uns für eine Wanderung von Lares in das auf dem Weg nach Machu Picchu gelegene Ollantaytambo, kurz Ollanta. Dazu nahmen wir zunächst einen Bus nach Calca und stiegen dort in einen
nach Lares um.
Die Straße von Calca nach Lares ist eine Geschichte für sich, vor allem dann, wenn sie gesperrt ist, und der Kleinbus über eine extrem steile, ausgesetzte und nasse Sandpiste ausweichen muss. Der
Blick in den Abgrund macht bei solchen Teufelsritten manchmal ein wenig nachdenklich. Eine Stunde später war es dann so weit: Unser Bus kollidierte in einer Steilkurve seitlich mit einem
Geländewagen.
Der Gedanke, dass sich das nicht ausgehen würde, kam mir eine halbe Sekunde vor dem Knall, ich hatte aber keine Zeit mehr, Zoryana beiseitezureißen. Glücklicherweise wurde sie von der sich abrupt
verjüngenden Wand verfehlt und kam ebenso wie wir anderen mit dem Schrecken und einer riesigen Staubwolke davon. Unser Bus war nun allerdings 30 Zentimeter schlanker als vorher.
Die logische Folge war, dass wir die grauenhafte Umfahrung wieder zurückfahren und sie anschließend ein drittes Mal bewältigen mussten, mit einem anderen Kleinbus. Bevor ein solcher verfügbar
war, hatten wir aber noch ein wenig Zeit, also schauten wir uns um. In Calca wimmelte es von indigenen Frauen in bunter Kleidung, mit breitkrempigen, flachen, knallbunten Hüten. Die Damen sahen
aus wie Sonnenblumen.
Im Wirtshaus stand genau ein Gericht zur Auswahl. Ebenso wie in Bolivien wird in einfachen peruanischen Gaststätten meist nur „Almuerzo?“ (Mittagessen) oder „Cena?“ (Abendessen) gefragt. Wenige
Minuten später bekommt man Suppe, Hauptspeise und Getränk. Was es zu essen gibt, erfährt man vorher nicht, aber Überraschungen sind was Schönes, und außerdem sind die Preise für ein solches Menü
sehr anständig: In peruanischen Dörfern berappt man üblicherweise fünf Soles, das sind knapp 1,50 Euro. Was ich an diesem sonnigen Nachmittag in Calca gefuttert habe, weiß ich jetzt, mehr als ein
Jahr nach der Reise, leider nicht mehr genau, ich glaube, es war eine trucha (Forelle).
Am Markt von Calca erstanden wir allerhand Obst, darunter eine rote Ananas und einige Granadillas – meine Lieblingsfrucht. Wir passierten den ersten, gefährlichen Teil der Strecke nach Lares
diesmal ohne Zwischenfälle und schraubten uns in den folgenden Stunden bis in eine Höhe von 4.461 m hinauf.
Die Fahrt dauerte relativ lange, einerseits, weil die Straße immer wieder von Alpaca-Herden blockiert wurde, andererseits, weil Zoryana sich mit der Höhenluft nicht anfreunden konnte und ihr
Mittagessen sukzessive den Inka-Göttern opferte. Ich nutzte die entsprechenden Aufenthalte, um die wunderschöne Gegend zu fotografieren.
In Lares, einer Ortschaft, die man als außerordentlich abgelegen und klimatisch benachteiligt beschreiben könnte, fanden wir ein Quartier, dessen Beschreibung als „bescheiden“ eine starke
Überhöhung darstellen würde. Wir kuschelten uns unter die dicken Decken, welche sich unter einer sehr niedrigen Decke befanden, und machten uns in der Früh auf den Weg ins Gebirge.
Wenige Kilometer hinter der Ortschaft finden sich hoch über dem Tal die aguas termales, einige schmucke, in Steine gefasste Becken mit teils sehr warmem Wasser. An diesem Vormittag
gehörten sie uns ganz alleine! Die Sonne war leiwand genug, ein paar warme Strahlen vorbeizuschicken, und wir genossen das Bad und unser Leben in vollen Zügen.
Dann wurde es Zeit für eine kleine Andenüberquerung. Frohen Muts wanderten wir talein- und aufwärts. In den nächsten Stunden sahen wir vor allem viele Tiere: Ferkel, Pferde, Schafe, Lamas.
Dazwischen niedrige, primitive, strohgedeckte Steinhütten und vereinzelt buntberockte Peruanerinnen mit Sonnenblumenhüten.
Irgendwann kamen wir zu einer Wegkreuzung und hatten zwei Täler zur Auswahl. Wir entschieden uns für das linke, was ein Fehler war, denn in der Abenddämmerung standen wir nicht in Huacahuasi,
sondern im ebenfalls 3.750 m hoch gelegenen Cuncani. Ein paar einfache Häuser, dazu etliche primitive Steinhütten, ein paar Alpacas, einige Schafe, sonst nichts. Von Huacahuasi trennte uns ein
Berg, dessen Höhe wir nicht kannten.
Wir futterten unsere süße, rote Ananas und allerhand andere Köstlichkeiten und beobachteten das quietschfidelste Lamm, das ich je gesehen habe: Es rannte hierhin und dorthin und sprang auf und ab
wie ein schwarz-weiß gefleckter Gummiball.
Es war ein ausgesprochen kühler Abend, aber wir schliefen doch gut. Als ich am nächsten Morgen aus dem Zelt krabbelte, trieben zwei buntbekleidete Indios mit breitkrempigen Hüten gerade eine
Schafherde vorüber.
Als wir bereits einige hundert Höhenmeter überwunden hatten, trafen wir einen Indio, der sich – im Gegensatz zu einer alten Frau, die wir tags zuvor befragt hatten – auf Spanisch verständlich
machen konnte. Er bestätigte uns, dass wir uns auf dem Weg nach Huacahuasi befanden und wollte für diese Information Kokablätter. Als ich ihm keine anbieten konnte, zog er seines Weges.
Ein paar Stunden später trafen wir zwei Kinder, einen kleinen Buben mit wollenen Ohrenschützern und seine winzige Schwester, die ein buntbesticktes Mäntelchen trug. Die beiden sagten kein Wort,
also gingen wir weiter und trafen auf mehrere alte Damen, die auf einer Decke am Wegesrand saßen und – wir trauten unseren Augen nicht – Coca Cola und Inca Kola verkauften. Wir hatten seit
annähernd 24 Stunden kaum Menschen, geschweige denn Touristen, gesehen. Umso erpichter waren die Damen darauf, mit uns ein Geschäft zu machen. Wasser wäre uns lieber gewesen.
Als wir nach einem relativ schwierigen Abstieg in Huacahuasi ankamen, regnete es. Menschen waren weit und breit keine zu sehen, also gingen wir an der steinernen, wellblechgedeckten Kirche vorbei
zum einzigen größeren Gebäude des Dorfes – der Schule, wie sich herausstellte. An der Rückseite des Gebäudes fanden wir zahlreiche indianische Sonnenblumenfrauen und ihre schmutzstarrenden
Kinder. Außerdem war eine Handvoll Amerikaner auf „Mission Trip“ anwesend – sie hatten einen Arzt dabei und verteilten Zahnbürsten an die Kinder.
Der Inhaber der einzigen Herberge im Dorf verlangte eine horrende Summe für ein finsteres, schmutziges Zimmer, also zogen wir von dannen. Der richtige Pfad war nach einigem Herumfragen
identifiziert und wir machten uns auf den Weg zum 4.450 m hohen Ipsayjasa-Pass. Eine dicke Indianerin kam inklusive Kinderschar wie ein Wirbelwind über einen kleinen Hügel gerannt, um uns dann
wortlos ihre Stickereien anzubieten. Unsere Rucksäcke waren zum Platzen gefüllt, weshalb wir ablehnten, woraufhin das illustre Grüppchen ebenso schnell verschwand, wie es gekommen war.
Es ist unglaublich, wo Peruaner Häuser bauen!! Auf über 4.000 m gibt es immer noch kleine Felder, meist flankiert von der einen oder anderen kleinen, strohgedeckten Steinhütte. Es bereitete uns
zunehmend Schwierigkeiten, den rechten Weg zu finden, weshalb ich immer dann, wenn ich irgendwo in der Ferne einen Menschen sah, eine kleine Laufrunde einlegte, um an Informationen zu gelangen.
Die karge Nebellandschaft mit ihren strohgedeckten Hütten, Alpacas und kleinen Seen hatte durchaus ihren Reiz. Kurz, bevor der Weg steil zum Ipsayjasa-Pass anstieg, suchten wir in der
Abenddämmerung auf ca. 4.200 m ein einigermaßen ebenes, einigermaßen trockenes Fleckchen, entfernten alle größeren Steine und stellten unser Zelt auf.
Der Ipsayjasa-Pass begrüßte uns tags darauf mit starkem Wind und dichten Nebelschwaden, aber als wir die Laguna Ipsaycocha erreichten, herrschte klare Sicht, und irgendwann wurde es sogar sonnig.
Wir verspeisten unsere allerletzten Vorräte, lernten ein schmutziges Kind namens Daniel kennen und amüsierten uns über die flauschigen Alpacas, die uns ihre herzig-dummen Gesichter zuwandten.
Talauswärts stießen wir auf zwei Indigene mit Holzspindeln in den Händen, verloren dann irgendwo unseren Weg und fanden uns hoch über dem Tal auf schwindelerregenden Alpacapfaden wieder. Mit viel
Geduld und der einen oder anderen Klettereinlage schafften wir aber innerhalb der nächsten beiden Stunden den Abstieg nach Patacancha. Dort fanden wir etwas zu essen und erfuhren, dass uns der in
Kürze abfahrende Schulbus nach Ollantaytambo mitnehmen könnte.
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