Auf der Todesstraße

 

Bolivien ist ein herrliches Land, und am allerherrlichsten ist die Natur. Deshalb erwartete uns am Morgen des 8. Oktober ein Minibus vor dem Hostel. Drinnen saßen zwei Spanier und drei Bolivianer – der Fahrer und zwei Guides. Auf dem Dach waren ein paar Mountainbikes mit fetten Reifen montiert, im Wagen befand sich nebst warmer Kleidung und Schutzausrüstung ein großes Sauerstoffaggregat. Und los gings.


Bei der Cumbre handelt es sich um einen 4.643 Meter hohen Pass bei La Paz, und dort oben, zwischen Nebelwänden und Schneefeldern, beginnt die berühmte Todesstraße. Die Carretera de la Muerte verbindet La Paz über die Cumbre mit dem dreieinhalbtausend Meter tiefer gelegenen Ort Yolosa im Amazonas-Dschungel. Von paraguayischen Kriegsgefangenen in den 1930er-Jahren in die teilweise vertikalen Abhänge der Yungas geschlagen, gilt die Todesstraße nach wie vor als gefährlichste Straße der Welt. Bis zur Eröffnung einer Umfahrung im Jahr 2006 starben hier jedes Jahr zwischen 200 und 300 Menschen.


Warum man sich da mit einem Fahrrad runterhaut? Weil die Straße, nebenbei bemerkt, die schönste ist, die ich in meinem Leben gesehen habe. Auf 65 Kilometern durchquerst du verschiedenste Klimazonen und hast atemberaubende Ausblicke auf Wasserfälle, Berge, Dschungel, Koka-Plantagen und – in die Tiefe. Du beginnst mit einer dicken Jacke und Handschuhen und kommst ein paar Stunden später in der Badehose unten an.


Was die Straße so gefährlich macht, ist weniger ihre Ausgesetztheit als ihre Enge. Zwei Lastwagen kommen hier kaum aneinander vorbei. Auf der Straße herrscht Linksverkehr, damit die Fahrer auf der Talseite besser einschätzen können, wie viel Platz sie noch haben. Die Straße ist auf ihrer gesamten Länge von Kreuzen gesäumt. Die Spanier entdeckten in der Tiefe ein kleines blaues Auto, das laut Guides vor ein paar Monaten vom Weg abgekommen war. Noch ein paar Monate, dann hat es der ewig wuchernde Urwald verschluckt.


Wir brausten also frohgemut über den Kies und genossen die Aussicht. Ein Teilnehmer einer anderen Gruppe stürzte und kam einen knappen halben Meter neben dem Tal ohne Wiederkehr zu liegen. Der ließ es dann ein bisschen vorsichtiger angehen, glaube ich. Zoryana und ich hatten einen Guide für uns alleine, dieser ließ sich aber nur dann und wann blicken, um uns zu fotografieren, und stresste uns nicht. Den Guides zufolge waren hier in den letzten 21 Jahren 19 Fahrradtouristen und 6 Guides gestorben. Auf einem kleinen Parkplatz fanden wir einen gemütlichen alten Herrn, der auf einer Bank saß, neben sich ein Rettungsauto. Er erzählte uns vergnügt, dass er hier für Rettungen zuständig sei.


Das Wetter war perfekt, wir waren eine kleine Gruppe, und die beiden Guides waren gut drauf. Kurz vor Yolosa berieten sie sich kurz und beschlossen dann, uns ein besonderes Abenteuer zuteil werden zu lassen. Sie wiesen auf einen schmalen, steilen, steinigen und extrem ausgesetzten Pfad. Auf geht’s, Burschen!


Was dann folgte, war Downhill im eigentlichen Sinne, mit dem Unterschied, dass die entsprechenden Strecken in Europa nie dermaßen ausgesetzt sind: Neben dem Weg, der kaum breiter als einen halben Meter war, ging es teilweise hundert Meter senkrecht nach unten. Außerdem werden in Europa für solche Zwecke vollgefederte Downhill-Räder mit niedrigem Sattel und Scheibenbremsen herangezogen. Mein Fahrrad verfügte über zwei einigermaßen funktionierende Felgenbremsen. Der Weg war dermaßen steil, dass ich einmal beinahe über den Lenker gepurzelt wäre. Wo die Bremsen nicht ausreichten, bremste ich zusätzlich mit dem Fuß an der Wand. Aber wir kamen glücklich unten an. Allgemeines Händeschütteln, wir freuen uns, dass es uns noch gibt… Im Tal warteten wir auf Zoryana, die die eigentliche Todesstraße weitergefahren war, dann ließen wir es uns bei einem Buffet am Pool gutgehen. Bolivien ist leiwand.
 

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