Costa Tica XI

In meinen letzten Monaten in Longo Mai habe ich viel Zeit mit Computer-Kursen verbracht. Der Dorfsalon wurde zum Internet-Café umgebaut, Mitte Juli konnten wir umziehen. Das Projekt trägt sich im täglichen Betrieb selbst und es freut mich, etwas Langfristiges geschaffen zu haben. Mit Cornelia ist eine Langzeit-Volontärin angekommen, auch der nächste Zivi, David, hat uns bereits in Longo Mai besucht. Somit kann ich einige Projekte einfach weitergeben.

 

Dass unser Zivihaus eben doch eine richtige Urwaldhütte ist, haben wir gemerkt, als sich eine Schlange in unser Haus verirrte. Wir konnten den gelb-schwarz gestreiften Wurm nicht identifizieren (Es gibt in Costa Rica 135 Arten von Schlangen), deshalb bin ich meinem Vorsatz, mit allen Kriechtieren in Frieden zu leben, schließlich untreu geworden und hab das Vieh, während die Dorfjugend von diversen Tischen und Fensterbrettern aus zuschaute, mit einem Ast erschlagen. Zwei Abende später besuchte uns eine Eule, was Reina dazu bewog, mehrmals das Licht ein- und auszuschalten, um die sich blitzartig adjustierenden gelben Augen zu beobachten. Auf die Eule folgte ein ca. 15 m² großer Ameisenteppich. Gegen 22 Uhr war er in der Küche unterwegs, als ich einige Stunden später von einem intensiven Kribbeln geweckt wurde, lag ich mitten drinnen.

 

Im Juni war ich mit Gilberth, Fernando, Francisco und Caro am Cerro Cabécar, der Weg auf den Berg ist in der Regenzeit – und da vor allem bei Regen – eine Katastrophe. Die Hütte war aber ausgesprochen urig und der Bergwald wunderschön.

 

Im Juli und August waren Tante Nelli und Onkel Reinhard zu Besuch. Von Wasserfällen bis hin zu einem sympathischen, aber völlig durchgeknallten Tunnelbauer und einem riesigen Stein („La Piedra de Convento“) haben wir allerhand gesehen.

 

Im August musste ich ein letztes Mal ausreisen, diesmal blieb ich in Grenznähe. Zuerst fuhr ich nach Boquete, Panama, eine Kleinstadt in den Bergen, die völlig uninteressant ist und wo man vor lauter Gringos die Bäume nicht mehr sieht. Ganz anders das abseits der Touristenpfade gelegene Indigenen-Dorf Soloy, wo ich mich wieder mit Onkel Reinhard und Tante Nelli traf (Zum Einstand bekam jeder von uns eine Klobrille). Die Ngöbe-Buglé leben in ärmlichsten Verhältnissen, eine durchschnittliche Familie verdient im Jahr weniger als 200 US-Dollar. Ihre Häuser bestehen aus ein paar Holzplanken, teilweise mit Blätterdach, sie laufen barfuß und leben fast alle ohne Strom. Umso auffallender ist ihre wunderschöne Kleidung! Die Mädchen und Frauen tragen traditionelle, handgenähte, knallbunte Kleider. Besonders schön sind die Kinder, nicht nur wegen ihrer bunten Kleidung... Sie haben pechschwarze Haare und erstaunte Augen.

 

***

 

Für mich gehört es zu den schönsten Dingen, mich in andere Kulturen einzuleben, aber ein Auswanderer oder Heimatloser bin ich nicht. Österreich hat mich geprägt, nach Österreich zieht es mich zurück. Ich brauch ein paar Züge, mit denen ich herumfahren kann, anständige Radwege, Schnee... Und wenn ich an das erste Abendessen daheim in St. Peter denke, freu ich mir einen Haxen aus. Nichts gegen Reis und Bohnen, aber deren Geschmack ist mir mittlerweile dermaßen in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich sie vermutlich gar nie mehr essen muss, um sie zu schmecken. Was in Costa Rica standardmäßig als „Brot“ verkauft wird, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

 

Was ich von der costaricanischen Küche vermissen werde, sind die Getränke. Die batidos, so heißen sie, werden frisch gemixt, und zwar aus Banane, Papaya, Brombeere, Erdbeere, Mango, Guanabana, Ananas, Melone, Cas, Carambola (Sternfrucht), Granadilla usw. In manchen Gaststätten werden ausgefallene und durchwegs umwerfende Geschmacksrichtungen wie Kokos-Malz angeboten. Man kann auswählen, ob man das Fruchtgetränk en agua oder en leche will – sprich, Bananenmilch oder Bananensaft, Papayamilch oder Papayasaft usw. In Österreich trinke ich seit Jahr und Tag den einzigen Fruchtsaft, der überall im Programm steht, nämlich Apfelsaft. Nichts gegen Apfelsaft, aber kreativ ist das nun nicht gerade...? Yucca (zum Kochen und Braten), reife Kochbananen (gebraten, mit Zimt) und grüne Kochbananen (gebraten, mit Salz) werde ich in Österreich auftreiben, wenn nötig, mit Gewalt!

 

Nach einem längeren Aufenthalt im Ausland habe ich das Bedürfnis, mein Deutsch wieder auf Vordermann zu bringen. Das Gefühl, weniger wortgewandt zu sein als sonst, ist für mich ausgesprochen unangenehm. Dass zuhause kaum jemand auf die Idee kommen würde, mich wegen meiner blauen Augen anzuhimmeln, kann ich verschmerzen...

 

Seltsam wird es sein, wieder „drinnen“ und „draußen“ unterscheiden zu müssen. In Europa mauern wir uns ein... Haus und Garten sind zwei verschiedene Welten, wer im Winter frühmorgens in die Schule oder ins Büro geht und spätnachmittags nachhause kommt, sieht manchmal einen ganzen Tag lang die Sonne nicht. In einem costaricanischen Dorf bist du immer irgendwie im Freien. Die Häuser sind klein und luftig (Du musst niemals heizen), der wichtigste Teil des Hauses ist oft die Veranda, und – das Leben spielt sich auf der Straße ab. Wenn du einmal die Dorfstraße hinaufgehst, hast du mit allen geredet, mit denen du reden wolltest.

 

Der Regen auf dem Wellblechdach (den ich voraussichtlich nicht vermissen werde) und die Bananenstaude, die vor dem Fenster steht, vervollständigen den Eindruck, ständig im Freien zu sein. Während meiner Volksschulzeit wurden wir in der Zehn-Uhr-Pause sommerlicherweise oft für 15 Minuten in den Schulhof gelassen. Die Kinder in Longo Mai brauchen nur einen Schritt vor die geöffnete Klassenzimmertüre zu machen, um im Grünen zu stehen.

 

Nach zwölf Monaten im kleinen Longo Mai hat mich neben dem Heimweh auch das Fernweh wieder gepackt. Ich träume von Tamsweg, St. Petersburg, Finse und Ojmjakon. Ein Ort, den ich sehr vermisse, ist Mautern.

 

Meine „Mission“ habe ich beendet, ich fühle mich in keiner Weise unersetzbar in Longo Mai. Ich hab ein paar gute Projekte initiiert oder fortgesetzt (Internetcafé, PC-Kurse, Infobroschüren, Webseite, Unterricht im Gefängnis... Wer die Details möchte, bekommt den Abschlussbericht, den ich fürs BMI geschrieben habe), aber weltbewegend sind sie nicht. Überhaupt ist es völlig utopisch, Longo Mai auf irgendeine Art und Weise „umkrempeln“ zu wollen. Die Leute leben seit jeher in ihrem eigenen Rhythmus, die Uhr tickt bedeutend langsamer als bei uns.

 

Der Abschied von Longo Mai wird mir nicht leichtfallen, ich hab einige Leute hier sehr schätzen gelernt. Aber jetzt wird es Zeit, nachhause zu fliegen.

 

Was bleibt, ist ein Gefühl der Zufriedenheit, großartige Menschen in ihrer eigenen Kultur kennengelernt und unzählige Erfahrungen gesammelt zu haben. Nach Österreich und den USA ist mir ein drittes Land zur Heimat geworden. Spanisch spreche ich seit neun oder zehn Monaten fließend, wenn ich es auch, im Gegensatz zum Englischen, wohl niemals fertig bringen werde, einen annähernd einwandfreien Aufsatz zu verfassen. Immerhin, die Texte, die ich ins Spanische übersetze, musste Caro zuletzt (fast) nur mehr stilistisch verbessern.

 

Was bleibt, ist auch die (Intensivierung der) Einsicht, dass in unserer Welt Vieles im Argen liegt. Warum wird ein Arbeiter der Bananenindustrie impotent, warum wird die Tochter einer Arbeiterin der Ananasindustrie ohne Arme geboren? Weil eine Bande von Dreckskerlen noch mehr Geld einsacken möchte.

 

Ohne die Selbstlosigkeit einiger lieber Menschen hätte ich es niemals bis Costa Rica geschafft. Mein Dank gilt den folgenden Wegbereitern: Andreas Maislinger, Gründer des Österreichischen Auslandsdienstes, Roland Spendlingwimmer, Koordinator von Longo Mai, dem Lions Club Amstetten für die finanzielle Unterstützung sowie der Oma und – ganz besonders – dem Papa für das Zur-Verfügung-Stellen weiterer Geldmittel. Besten Dank auch an die Mama für die Pakete mit lebensnotwendigen Gütern (Schokolade, Speck) und an Christoph Burkard, der mich über die Lage der Welt auf dem Laufenden gehalten (Abonniert seinen Newsletter unter zsuzsacr/at/yahoo.co.in) und mich davon überzeugt hat, dass sechs Termiten-Autobahnen im Haus kein Idealzustand sind. Danke an alle, die mich besucht oder nicht vergessen haben. Zuallerletzt ein emotionales Dankeschön an mich selbst, denn ohne mich wäre dieses Jahr nicht möglich gewesen. XD

 

Man sieht sich!!

 

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