Costa Tica IX

Von einer Wochenendradtour zurückkommend, hatte ich eines schönen Märztages keine Zeit mehr, einzukaufen. Tags darauf machte ich mich im Dorf auf Nahrungssuche und stellte fest: In diesem Nest gibt’s alles, was man zum Leben braucht! Noch warme Hühnereier bei Doña Martha, Frischmilch und Käse (wem er schmeckt) bei Doña Elena, Brot, Müsli und Trockenfrüchte bei Wade auf der Finca Pasiflora, leckere Pupusas auf Bestellung bei Inés, Yucca bei Romaín, Obst bei allen. Für Obst nehmen die Menschen in Longo Mai kein Geld an. In der zweiten Aprilwoche verging nicht ein einziger Tag, an dem mir nicht irgendjemand Bananen schenkte. Kleine, große, dicke, gebogene. Edith zeigte mir eine Traube mit rund 200 Bananen, alle perfekt gewachsen, schön gelb, und das völlig ohne Chemie und Gentechnik.

 

Die manzanas de agua (Wasseräpfel) sind reif, einmal schenkte mir Doña Martha auch ein großes Stück Guanabana. Zum Frühstück esse ich mittlerweile nur noch Obst, zu Mittag irgendetwas, das nicht lange dauert, und am Abend nach wie vor Reis und Bohnen. Wer in Longo Mai ein Jahr lang bei einer Gastfamilie lebt, hat ungefähr 1000-mal Reis und Bohnen gegessen.

 

Als Neuling ist man in Costa Rica zunächst einmal versucht, über die „Fantasielosigkeit“ der costaricanischen Küche zu schimpfen. Sobald man im Supermarkt die Lebensmittelpreise gesehen hat, ist es aber angebrachter, von der „Einfachkeit“ der costarianischen Küche zu sprechen. Reis, Bohnen, Obst und Gemüse bekommt man sozusagen nachgeschmissen, für eine simple Packung Cornflakes bezahlt man aber häufig rund sieben Euro. Es wird schnell klar, dass sich der durchschnittliche Tico außer Reis und Bohnen nicht viel leisten kann.

 

Arbeit ist billig. Romaín wollte für die Reparatur eines meiner Flipflops letztens ganze 200 Colones (€ 0,28). Ich hatte mir in einem Ramschladen, der auf Anfrage absolut alles verkauft (zusammenstiehlt, wie mir später klar wurde), ein gebrauchtes Fahrrad besorgt und brachte es in San Isidro zur „Frisur“ – u.a. ließ ich mir einen höheren Sattel montieren, einen Gepäckträger und schlanke Reifen, um die Sache etwas zu beschleunigen. Für diese Dinge, ein oder zwei kleine Überholungen und den Service bezahlte ich in Summe € 25.

 

Telefongespräche sind, weil die costaricanischen Bürger gegen deren Privatisierung auf die Straße gegangen sind, beinahe gratis. Die Ausgaben für Strom und Wasser sind gering, jedoch müssen sie mit verschwindend geringen Einkünften bestritten werden. Kaffeepflücker verdienen im Schnitt wohl etwa € 0,60 pro Stunde, Schwerarbeiter auf dem Zuckerrohrfeld im besten Fall das Doppelte. Und auch die Löhne, die von irgendwelchen Bastarden in der Ananas-Industrie ausbezahlt werden, sind angesichts der öden und riskanten Arbeit völlig  unangemessen (Hier wirtschaftet sich ein Volk für eine leckere Nachspeise zugrunde... Es leben die Globalisierung und der Kapitalismus!).

 

Sehr günstig ist für unsereins das Bus fahren. Eine Fahrt im Stadtbus kostet seit der letzten Tariferhöhung € 0,21, für die 35 Kilometer von San Isidro nach Longo Mai bezahle ich € 0,80. Die teurere Gesellschaft Tracopa verlangt € 1,30, laut Gilberth „kennen die keine Scham“. Die vierstündige Busfahrt zur panamaischen Grenze kostet mich rund € 5. Die Busse sind in Costa Rica genauso komfortabel wie bei uns, fahren überall hin und es ist schön, günstig mobil zu sein. Und trotzdem – das Leben wird teurer für mich. Der Euro wurde gegenüber dem Colón innerhalb weniger Monate um mehr als 20 % abgewertet.

 

Eine letzte Beobachtung zum Thema „Busse“: An der Bushaltestelle von Longo Mai gibt es immer wieder Leute, die sich eine Weile lang in eines der Wartehäuschen setzen und dann wieder gehen. Ob sie auf den Bus warten und nicht wissen, wann er kommt, oder ob sie nur den vorbeifahrenden Autos zuschauen wollen, weiß ich nicht. Beides würde sehr gut zur costaricanischen Kultur passen.

 

Was die eingangs erwähnte Radtour betrifft: Die hat Daniel und mich an den Pazifik geführt. Ein Traumstrand nach dem anderen, und keine Menschen weit und breit! Am südlichen costaricanischen Pazifik gibt’s lange Sandstrände, Strände mit Krokodilen, Felsen mit gefluteten „Fenstern“ drin, palmenbestandene Liegewiesen usw. An dem Strand, an dem wir unser Zelt aufstellten, gab es große lila Krabben. Diese Tiere waren entweder sehr neugierig oder sehr feindselig. Sie kamen in Scharen angerückt und taten ihr Bestes, um mit ihren großen Scheren unser Zelt zu zerschneiden! Eine rosa-lila gefärbte Hundertschaft beim Zeltvernichtungseinsatz, ich hab noch nie was Skurrileres gesehen. Wir vertrieben die Biester mit einem Lagerfeuer.

 

An einem Märzwochenende stellte ich mich kaltblütig der costaricanischen Bürokratie, die es sich zum Ziel gesetzt hat, allen Leuten, die den höchsten Berg zwischen Guatemala und Kolumbien besteigen wollen, das Leben möglichst schwer zu machen. Nach einer Nacht ohne Schlaf (Von Donnerstag auf Freitag wird bei den Zirkusleuten in San Isidro nicht geschlafen) stand ich morgens gegen sieben Uhr in San Gerardo einem Parkwächter gegenüber. Der ließ sich meine Geschichte durch den Kopf gehen und sang mir erst einmal ein selbst komponiertes Liedchen vor. Letztendlich verkaufte er mir ein einziges Ticket – Gilberth und Daniel mussten zuhause bleiben.

 

Einen Tag später machte ich ein drittes Mal die Reise nach San Gerardo und bestieg den Berg dann auch in Rekordzeit. In der ersten Stunde schaffte ich ungefähr 600 Höhenmeter. Auf 3.393 Metern Seehöhe befindet sich die Herberge „Los Crestones“. Sie verfügt über 60 Betten, von denen niemals mehr als 40 belegt werden dürfen, und über die kälteste Dusche Costa Ricas. Nach 15 Sekunden unter dem eiskalten Wasserstrahl verließ ich die Dusche mit Kopfweh. Am anderen Ende des Ganges gab es kostenlosen Internetzugang! Geheizt wird die Hütte allerdings nicht, meine Finger waren so klamm, dass ich kaum tippen konnte. Morgens früh um vier verließ ich mit Alex, einem in Genf lebenden Russen, die Hütte, und um sechs Uhr standen wir auf dem Gipfel. Die Wanderung auf den Cerro Chirripó ist wunderschön, einmal was anderes als die ewigen Sandstrände, und den Aufwand auf alle Fälle wert.

 

Ein Weihnachtspaket aus St. Peter brauchte rund vier Monate nach Longo Mai, zu Ostern funktionierte die Post dafür tadellos. Insgesamt hab ich im April nicht weniger als neun Kilo Post bekommen, besten Dank!

 

Was meine Arbeit betrifft, habe ich in den letzten Wochen u.a. zwei Webseiten erstellt. Die neue Webseite von Longo Mai findet ihr unter http://www.sonador.info. In ein paar Wochen soll sie dreisprachig zur Verfügung stehen, und meine Infobroschüre auch. Für letztere hab ich u.a. den ersten Busfahrplan zusammengestellt, den es in Longo Mai je gegeben hat, wahrscheinlich ist es der vollständigste Fahrplan in ganz Costa Rica... Es ist keine besonders anregende Arbeit, die Broschüre ins Englische zu übersetzen, aber immerhin lässt sie sich an meinem liebsten Arbeitsplatz erledigen – in der Hängematte.

 

Liebe Grüße aus Costa Rica