Wenn einer eine Radtour tut

Bei ungefähr jedem zweiten Ausflug, den ich mache, gibt’s eine Situation, in der ich mir vornehme, dass es die letzte Situation dieser Art gewesen ist. So geschehen im September 2016, als ich die großartige Idee hatte, eine Radfahrt von Selzthal nach Mürzzuschlag zu unternehmen und mir dabei zwei bis dato unbekannte Alpentäler zu erschließen.


Ich besitze einen Autoatlas, in dem sogar Wege zu finden sind, die eigentlich gar nicht existieren. Zwischen Johnsbach und Hinterradmer war diesmal allerdings kein Weg eingezeichnet. Dann fand ich in unserer Datscha eine etwas detailliertere Karte der Region, in der alle möglichen Forststraßen verzeichnet waren. Zwei davon schienen sich auf einer Passhöhe zwischen Johnsbach und Hinterradmer zu treffen. Los gings.


In der Früh hatte ich noch einen Abstecher nach Leoben machen müssen, weil Fahrradschläuche in steirischen Gebirgsdörfern nicht so ohne weiteres erhältlich sind. Deshalb begann ich meine Radtour erst am frühen Nachmittag. Die Gegend dort ist sehr schön, vor allem zwischen Admont und dem Eingang ins Gesäuse. Auch das Johnsbachtal ist herrlich anzusehen, wobei man hier naturgemäß immer bergauf radeln muss.


Irgendwann wurde die Straße schmäler und steiler, und dann war sie nur mehr geschottert. Hinter der letzten Hütte verwandelte sie sich in einen nassen Wiesenstreifen, und dieser wurde plötzlich so steil, dass ich mein Rad heben musste. Da stimmt doch etwas nicht, dachte ich mir, und schickte einen Spähtrupp voraus (mich). Oberhalb des beinahe unbezwingbaren Wiesenstreifens fand ich ein Fleckerl Natur, das gar lieblich anzusehen war: Ein kleines Stück Wiese, umkränzt von dichtem Nadelwald. Ein Eichhörnchen schaute neugierig zu mir herunter. Mit etwas Fantasie konnte man zwischen den Bäumen einen Weg erkennen. Als ein kleiner Ast jedoch partout nicht brechen wollte und sich stattdessen in meine Rippen bohrte, sah ich ein: Da war kein Weg.


Ich fragte die Hüttenwirtin nach einer Ausweichroute, und sie zeigte mir eine steile Traktorspur, die über eine Kuhweide Richtung Wald führte. Frohgemut machte ich mich auf den Weg und stand eine Viertelstunde später vor der Wegsperre of hell. Jemand hatte den Weg zwischen Abgrund und Berghang auf voller Breite mit einem dicken Eisengitter versperrt. Die Intention der Wegversperrer war klar, aber wer glaubt, dass ich jetzt noch umgedreht hätte, der hat nicht mehr alle Milben im Kopfpolster.


Ich wuchtete mein Rad seitlich über den Hang und fand mich in einem Forststraßenlabyrinth of hell wieder. Forststraßen mag ich nicht so gerne, denn die sind nicht dazu da, einen ans Ziel zu bringen, sondern ausschließlich dazu, möglichst große Flächen zu erschließen und, da sie nicht gekennzeichnet sind, Wanderer und Radfahrer in die Irre zu schicken. Ich muss irgendwo ganz falsch abgezweigt sein, denn anders lässt es sich nicht erklären, dass ich mich zwischen Johnsbach und Radmer rund 20 Kilometer im Wald abstrampelte. Mittlerweile war ich – zugegeben – ziemlich k.o. und überlegte, ob ich mich mit meinem Fahrrad zudecken und eine Runde schlafen sollte.


Ich hatte eine vage Idee von der richtigen Richtung (die Mitte zwischen den zwei Bergen) und landete irgendwann bei einer kleinen Hütte. Die Besitzer dieser Hütte schienen von der Notwendigkeit meiner Anwesenheit durchaus nicht überzeugt zu sein, aber sie bestätigten meine Vermutung, wonach mich dieser Weg nach (oder, um es steirisch zu sagen, in die) Radmer bringen musste.


Dann gabelte sich die Forststraße noch einmal. Ich fuhr nach rechts und stellte nach einer quälend langsamen Bergauf-Fahrt fest, dass ich mich die ganze Zeit im Kreis drehte und vermutlich schon lange über Pass-Niveau befand. Ich drehte also um, nahm den anderen Weg und stieß wieder auf den Bach. Dieser wurde nach und nach zum Bächlein und schließlich zum Rinnsal, was meine Hoffnung auf ein Ende der Strapazen nährte. Dann erreichte ich die Passhöhe of hell.


Eine Tafel informierte mich, dass der Gipfel des Lugauer von hier aus in drei Stunden zu erreichen wäre. Eine weitere Tafel und ein Schranken informierten mich, dass die Durchfahrt ins Nachbartal nicht gestattet sei. Außerdem befände ich mich in einem forstwirtschaftlichen Sperrgebiet. Die Landkarte in der Datscha hatte das nicht gewusst. Unten im Tal leuchteten die Häuser von Hinterradmer in der Abendsonne.


Wer glaubt, dass ich beim Hinunterfahren die Stille oder die Natur genossen habe, der hat nicht mehr alle Resitanten auf der Abschussliste. Ich hatte genug Forststraßen gesehen. Es folgte eine Abfahrt of hell, die sich gewaschen hatte. Die Steine spritzten nach links und nach rechts und 20 Minuten später war ich 600 Höhenmeter weiter unten.


Hinterradmer befindet sich am Ende eines langen, steilen, schmalen Tales, das noch dazu außerordentlich abgelegen ist. An diesem steirischen Unzugänglichkeitspol gibt es ein winziges Lebensmittelgeschäft, blumengeschmückte Häuser und ansonsten eigentlich nicht recht viel. Ich übernachtete in Hieflau. Am nächsten Tag fuhr ich nach Mariazell of hell und weiter nach Mürzzuschlag.

 

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